Kommentar Laschet bittet Opfer der Kölner Silvesternacht um Verzeihung, verschweigt aber etwas Fünf Jahre nach den Ereignissen der Kölner Silvesternacht hat NRW-Ministerpräsident Armin Laschet die Opfer um Verzeihung gebeten. Das ist gut und richtig. Für ihn unangenehme Tatsachen verschweigt aber auch Laschet lieber. Markus Boehm/dpa Die Szene auf der Kölner Domplatte am Silvesterabend 2015

FOCUS-Online-Autor Ulrich Reitz

Freitag, 01.01.2021, 12:17

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet hat ein Stück geschrieben und unter seinem Namen veröffentlicht. "Der Albtraum von Köln" heißt der Namensbeitrag, der im Kölner Stadtanzeiger erschien. Das ist kein Zufall: Der CDU-Politiker erinnert an die Kölner Silvesternacht, als sich ein Mob von Nordafrikanern über weiße Frauen hermachte.

Exakt fünf Jahre ist das jetzt her. Nichts von dem, was Laschet da aufgeschrieben hat, ist falsch, dass seine Landesregierung für mehr Polizisten sorgt, in der inneren Sicherheit eine "Null-Toleranz"-Linie fährt. Aber eins steht nicht in diesem Beitrag. Ein Zufall ist das nicht.

Logisches Schweigen

Die Kölner Silvesternacht hat Geschichte geschrieben. Sie veränderte die Stimmung im Land grundsätzlich. Dieser überwiegend von Asylsuchenden begangene Gewaltakt an deutschen Frauen brachte die von Angela Merkel ausgerufene Willkommenskultur für Flüchtlinge an ihr Ende. Schließlich war sie der Anfang vom Ende der SPD-Spitzenpolitikerin Hannelore Kraft. Überdies läutete sie eine Glaubwürdigkeitskrise von Medien ein. Über all das verliert Laschet kein Wort.

dpa/Henning Kaiser/dpa NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (r) am Kölner Hauptbahnhof.

Weshalb, liegt auf der Hand: Laschet kandidiert für den CDU-Vorsitz, und sein Hauptargument ist es, die (in Wahlen) erfolgreiche Politik von Angela Merkel fortzusetzen. Besonders gilt dies für zwei Bereiche: Die Migrations- und die Europapolitik. Kaum ein prominenter CDU-Politiker verteidigt Merkels Grenz-Entscheidung von 2015 so vehement wie Laschet.

Sich selbst in die Sonne stellen

Der Grund ist nicht nur innere Überzeugung, das kann man Laschet durchaus abnehmen, sondern auch persönliches Wahlkampf-Kalkül: Laschet präsentiert sich im Wettbewerb um den CDU-Vorsitz als Politiker, der in mehrere politische Richtungen anschlussfähig ist, vor allem in Richtung der Grünen. Auch das liegt in Laschets biografischer Kontinuität - er war einer der ersten, der schon vor mehr als 20 Jahren für eine Neujustierung des Verhältnisses von CDU und Grünen warb.

Aber wenn Ministerpräsidenten über historische Ereignisse schreiben, wollen sie die kollektive Erinnerung in ihrem Sinn prägen. Und sie wollen, das ist das Wesen von Politik, sich selbst in die Sonne stellen. Laschet betreibt die Geschichtsschreibung über die Kölner Nacht, um sie mit seinen Ansichten kompatibel zu machen, zugleich als Teil seines Wahlkampfs. Das mag politisch legitim sein, problematisch ist es dennoch.

"Ein Teil der Wahrheit bleibt auf der Strecke"

Im Januar 2016, wenige Wochen nach Köln, erschien eine große FOCUS-Story unter der Überschrift: "Das Schweigekartell". Darin wies ein Autorenteam anhand einer Fülle von Beispielen nach, dass und wie "Politik und Behörden jahrelang das Ausmaß der Ausländerkriminalität verheimlichten". Deutsche Strafverfolger hätten das "politicial-correctness-Gen verinnerlicht".

Der Flüchtlingszuzug sollte vor allem als Chance begriffen werden, ohne negative Folgen für die innere Sicherheit. "Aus Angst, rechtsextremen Wirrköpfen in die Hände zu spielen, bleibt ein Teil der Wahrheit auf der Strecke." Ausländer erhielten "den Status der Unberührbaren, um den Glanz der Willkommenskultur nicht zu verschafften".

Einfach die falschen Täter?

So war es auch in Köln gewesen. Der frühere Innenminister Hans-Peter Friedrich sprach von einem "Schweige-Kartell" aus Politik, Polizei und Medien. Die Kölner Polizei hatte versucht, "in vorauseilendem Gehorsam gegenüber politischen Erwartungen" die dramatischen Übergriffe von Migranten und Flüchtlingen zu verharmlosen. Sie handelte im Interesse der politischen Führung, insbesondere der Ministerpräsidentin Hannelore Kraft.

Über deren Versäumnisse, vor allem das tagelange Schweigen, urteilte damals der CDU-Innenpolitiker Holland im Landtag von Nordrhein-Westfalen: "Seien wir doch mal ehrlich. Frau Kraft wäre tief betroffen auf der Domplatte erschienen und wahrscheinlich noch in Tränen ausgebrochen, wenn das ein rechter Mob gewesen wäre. Es waren einfach die falschen Täter." Das saß. Kraft reagierte erwartbar, indem sie Holland in die AfD-Ecke schob.

Dominik Butzmann Ulrich Reitz
Über den Autor: Ulrich Reitz

Ulrich Reitz arbeitete als Korrespondent bei der Welt, war in der Startmannschaft von FOCUS, den er zuletzt führte, und war insgesamt 17 Jahre lang Chefredakteur der beiden größten deutschen Regionalzeitungen "WAZ" und "Rheinische Post". Er beschäftigt sich mit den gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung, der kulturellen Verfasstheit Deutschlands und der Performance der deutschen Eliten in Politik und Wirtschaft. Reitz versteht sich als wirtschaftlich ordoliberal und politisch konservativ. Er schätzt die gepflegte Kontroverse.

Ausprobieren, was ging

Laschet verschweigt in seinem aktuellen Beitrag für den Kölner Stadtanzeiger nicht, dass es sich bei den Tätern von der Domplatte um Maghrebiner gehandelt habe, wohl aber, dass danach, wie das Bundeskriminalamt fest stellte, "viele Flüchtlinge" mit dabei waren. In seinem zunächst vertraulich gebliebenen "Einsatzerfahrungsbericht" hielt der Bundespolizist Bernd N. auf vier schonungslosen Seiten fest, was ihm beim Einsatz auf der Domplatte widerfahren war, etwa dies: "Zerreißen von Aufenthaltstiteln mit einem Grinsen im Gesicht und der Aussage: Ihr könnt mir nix, ich hole mir Morgen einen Neuen."

Wenn Laschet heute sagt, seine Regierung verfolge eine Null-Toleranz-Politik, verfolgt er dies auf die so genannte "Broken-Windows-Theorie" zurück. Vereinfacht gesagt: Duldet der Staat in einem Problembereich ein zerbrochenes Fenster, dauert es nicht lange, und alle Fenster werden zerstört. Exakt nach diesem Muster verlief die Silvesternacht. Die Nordafrikaner, Iraker und Syrer auf der Domplatte probierten aus, was ging - Passanten mit Böllern direkt zu attackieren, etwa. Als dies ungeahndet blieb, vergingen sie sich an den Frauen.

Warnungen schon Wochen zuvor

Das alles hatte aber einen langen Vorlauf. Die im Polizeijargon "Nafris" genannten Nordafrikaner waren längst durch das sogenannte "Antanzen", verbunden mit Eigentumsdelikten, auffällig für die Polizei geworden. Und in den Wochen vor der Silvesternacht wurden die Landesinnenminister durch die Experten der Bundespolizei und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BamF) darauf hingewiesen, dass sie innerhalb des Flüchtlingsstroms doch bitte auf eine kleine Gruppe besonders aufpassen sollten: Junge Menschen aus dem Maghreb, die auf dem Seeweg oder über die Türkei als angebliche Flüchtlinge nach Deutschland kämen.

Deren Anerkennungsquote als Verfolgte liege bei unter einem Prozent, und doch nehme ihre Zahl dramatisch zu. Keine Perspektive auf Anerkennung, aber auch keine auf Abschiebung. Daraus rekrutierten sich dann die Täter auf der Domplatte.

Ein schlitzohriger Satz am Ende

Am Ende von Laschets Beitrag steht dieser Satz: "Wir können die Opfer um Verzeihung bitten, dass der Staat sie in jener Nacht nicht beschützt hat - egal wer damals politisch Verantwortung trug". Dieser Satz ist nicht nur schein-präsidentiell. Er ist schlitzohrig. Unter anderem dem Versagen der Rot-Grünen Regierung hatte Laschet zu verdanken, heute Ministerpräsident zu sein und damit für den CDU-Vorsitz überhaupt mit Aussicht auf Erfolg kandidieren zu können.

Aus 1210 Strafanzeigen nach der Kölner Silvesternacht wurden am Ende 36 Verurteilungen. "Die Justiz kann kaum solche Wunden heilen", schreibt Laschet. Mag sein. Die Politik wiederum könnte die Konsequenzen ziehen aus den Erfahrungen einer illegalen Einwanderung und einer, was die Täter betrifft, fehlgeschlagenen Integration.


Quelle: focus.de vom 01.01.2021